Meine fünf Leben
Schon mehrere neue Leben habe ich beginnen können.
Das erste ist natürlich das Leben gleich nach der Geburt.
Das zweite Leben begann , als ich kein Kind mehr sein wollte. Ich wollte endlich erwachsen werden. Nicht mehr so schüchtern sein, nicht mehr so ängstlich und so voller Minderwertigkeitsgefühle.
Dafür verschenkte ich meine geliebte Puppe und verbrannte meine Poesiealben und Tagebücher.
Umsonst. Selbstbewusster wurde ich nicht. Mutiger wurde ich nicht. Im Gegenteil.
Mein drittes Leben begann, nachdem mir meine kleine Tochter Sabine im 11. Monat ihres Lebens für immer aus den Armen genommen wurde. Es begannen 30 schlimme Jahre für mich.
In denen ich mit der Schuld lebte, als Mutter versagt zu haben. Warum hatte ich nichts gehört? Keinen Schrei? Oder doch? Ich weiß es nicht. Und dann- nein, ich wollte es all die Jahre nicht wissen.
Mein viertes Leben : Der Tinnitus hatte mir so unerträglich und ausdauernd in die Ohren geschrien, bis mein Gehör nicht mehr funktionierte. Auch danach wollte ich ihn immer noch nicht verstehen.
Doch kurz bevor ich völlig durchdrehte, erlernte ich die " Tinnitusfremdsprache". Ich begann, seine Töne zu deuten. Er, der Quälgeist, hatte mir die vielen Jahre etwas sagen wollen.
Er wollte mich auf etwas aufmerksam machen. Nun ich ihn verstand, hörte ich plötzlich neben dem Tinnitus meine innere Stimme zu mir sprechen.
Ich sollte mir verzeihen. Ich sollte mich lieben. Ich sollte loslassen. Und trauern. Endlich trauern.
Ich habe die Trauer angenommen. Es hat lange Zeit gedauert. In mehreren schmerzvollen Schüben habe ich es bewältigt. Mit jedem Mal ging es mir etwas besser. Nun habe ich mir verziehen. Wenn es denn etwas zu verzeihen gab.
Geholfen haben mir vor allem viele Gespräche mit meinen Therapeuten, meinen Kindern und meinem Mann; aber auch Bücher von Dr. Erhard F. Freitag über die Rolle des Unterbewusstseins spielten dabei keine unwesentliche Rolle.
Jetzt bin ich mittendrin in meinem fünften Leben. Ich musste dafür viele Lektionen erlernen, manche immer wieder aufs Neue. Ich musste erst um vieles älter werden, um dahin zu gelangen, wo ich jetzt bin. In meiner Herbstzeit.
Sie ist bunt und vielfältig. Bunt durch meine Bilder und bunt durch meinen von mir gewählten Weg. Aber eben deshalb auch manchmal schwer.
Nicht nur fünf- nein- sieben Leben hat die Katze...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen