Krise als Chance-Teilnahme am Adventskalender-Wettbewerb
Krise als Chance oder auch Wie alles begannAlles begann sehr spät, erst nach meinem 50. Geburtstag. Wieso und überhaupt, das möchte ich hier erzählen.
Ich hielt nie sehr viel von mir. Ich hatte bis dahin stets versucht, es allen Menschen recht zu machen. So war ich erzogen worden. Als Kind bekam ich Zuwendung nur fürs Bravsein. Das fand ich richtig. Deshalb strebte ich auch noch als erwachsene Frau danach, eine gute Tochter, Ehefrau, Mutter, Lehrerin und später Oma zu sein.
Sonst würde man mich nicht lieben. Und ich hungerte doch so sehr nach Liebe. Aber dieses „Es allen recht machen wollen“, das funktionierte irgendwann nicht mehr. Denn da war in meinem Inneren etwas, das mich unruhig machte und mir zuflüsterte: Wann machst du es denn dir einmal recht? Wann erfüllst du dir deine Wünsche? Na? Wann denn?
Diesem Etwas in mir – ich deutete es als meine innere Stimme- wollte ich nicht zuhören. Ich versuchte meine Ohren ganz fest vor diesen stummen Worten zu verschließen. Das war unendlich schwer und wurde immer schwerer. Irgendwann gelang es mir dann gar nicht mehr. Dafür wurde ein Wunsch in meinem Innern laut. Der Augenblick für eine Wandlung war gekommen. Ich sagte, erst leise, dann lauter- aber vorerst nur zu mir selbst: Ich will ab jetzt anders leben.
Ich wollte nicht mehr das tun, was die anderen von mir erwarteten, sondern das, wovon ich selbst überzeugt war. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Ich wurde krank. Ich fand keinen Schlaf mehr. In meinen Ohren dröhnte es wie bei einem übersteuerten Mikrofon. Der Arzt nannte mir die Diagnose: Tinnitus mit starker Hyperakusis. Ich bekam Tabletten, Spritzen und Infusionen. Nichts half. Als ich den Arzt fragte, was ich noch tun könnte, meinte er: Gegen Tinnitus gibt es nichts mehr. Damit müssen Sie leben.
Nicht gerade erbaulich, was ich da gesagt bekam. Ich sollte mit dem Feind in meinen Ohren leben? Mit dem, der mir das Leben zur Hölle machte?
Ja, zuerst war er mein schlimmster Feind, den ich hasste, den ich verfluchte. Dieser schrecklich laute und schrille Quälgeist! Dieses übersteuerte Mikrofon! Er sollte mich in Ruhe lassen! Er sollte still sein! Ja, er sollte aus meinem Leben verschwinden!
Ein für allemal. Doch er verschwand nicht.
Er bohrte sich mit seinen unangenehmen Tönen immer tiefer in meinen Kopf hinein.
Ich versuchte,die Ohren zu verschließen. Nichts zu machen! Denn "Er" war ja irgendwo in meinen Ohren drin, unsichtbar für mich, unhörbar für die lieben Mitmenschen. Gut wäre es, wenn sie ihn hören könnten, dachte ich mir. Da wüssten sie, wie schrecklich laut es in meinem Inneren zuging. Und sie könnten sich eine kleine Vorstellung von den Geräuschen machen. Vielleicht würden sie sogar verstehen, warum ich neuerdings so nahe am Wasser gebaut war! Und sie würden nicht mehr sagen: Hab dich nicht so, reiß dich endlich zusammen!
Aber nein, sie konnten diesen ungebetenen "Untermieter" nicht hören. Und er gab mir mit Nachdruck zu verstehen, dass er bleiben würde.
Er ließ sich häuslich nieder, er dröhnte und quietschte. Ich wusste mir bald keinen Rat mehr. Was sollte ich bloß unternehmen? Lange grübelte ich nach. Ohne Ergebnis. Irgendwann fiel mir die Lösung ein: Ich versuchte, genau das Gegenteil von dem zu tun, was ich bisher getan hatte. Ich unternahm nichts mehr gegen ihn. Ich arrangierte mich sogar mit ihm. Eines Tages begann ich, ihm richtig „zuzuhören“ und ich verstand. Er wurde zu meinem Wegbegleiter. Mit diesem Akzeptieren änderten sich plötzlich auch seine Töne. Sie wurden leiser. Zeitweise nahm ich sie gar nicht wahr.
Wann gab es diese Momente? Wenn ich etwas für mich selbst tat. Wenn ich an der Staffelei stand und meine Gefühle und Erlebnisse in Farben kleidete. Wenn ich mir verzieh und gut mit mir war. Wenn ich nicht mehr die perfekte Person sein wollte, die alles 100%ig macht, damit sie gelobt wird.
Sobald ich aber wieder versuchte, es allen recht zu machen, sobald ich wieder hart mit mir umging, wurden seine Töne umso unerträglicher.
Was blieb mir Anderes übrig? Ich schloss notgedrungen mit "Herrn Tinnitus" einen Waffenstillstand und danach sogar Freundschaft.
Das allerdings dauerte eine Reihe von Jahren. Zu viel Zeit war vergangen, in der ich einfach nicht begreifen wollte, dass ich mit meiner Gesundheit Schindluder getrieben hatte.
"Herr Tinnitus" musste deshalb erst noch viele andere Befindlichkeitsstörungen herbeirufen.
Der Körper war der Seele zu Hilfe geeilt. Höchste Zeit. Denn bei mir funktionierte bald nichts mehr. Nur die Tränendrüsen, sie hatten Hochsaison. Ich hasste mich für diese Tränen, und ich beschimpfte mich mit Worten wie Jammerlappen, Schlappschwanz. Doch die Tränen waren sehr notwendig. Sie bedeuteten den Beginn meines "Geschehenlassens“. Sie bedeuteten eine erfolgreiche Metamorphose: „Krise als Chance zur Neuorientierung im Leben“.
Heute bin ich eine andere geworden. Ich lebe mein Leben und schere mich nicht mehr darum, was die „lieben Mitmenschen“ über mich denken. Aus dem grauen Mäuschen ist die selbstbewusste Herbstfrau geworden. Doch das ist schon wieder der Beginn einer anderen Geschichte. © by resehda
herbstfrau -
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen